Diagnose: Übungen für Heilberufe
Im 1. Teil die Diagnosestellung unseres Patienten P1, hatten wir die bedeutende Nebendiagnose einer Psoriasis festgestellt.
Wir wollen in diesem 2. Teil weiter an der umfassenden Diagnosestellung arbeiten.
Wenn Sie die Fragen zur weiteren Diagnosestellung im Prüfungs-Modus beantworten wollen, so können Sie durch Anklicken der unten stehenden Schaltfläche zunächst alle Antworten verbergen:
Der Patient hatte uns jedoch primär aufgesucht, weil er eine Schwäche und Ungeschicklichkeit in der rechten Hand hatte. Dabei hat er – eher beiläufig – auch darüber berichtet, dass er am Ringfinger und Kleinfinger der rechten Hand kein "richtiges Gefühl" habe.
Mit der Schädigung welcher Struktur müssen Sie bei diesen Symptomen am ehesten rechnen?
Mit der Schädigung eines peripheren Nerven.
Berichtet wird von dem Patient eine Schwäche an der Hand. Dies
entspricht einer motorischen Störung. Berichtet wird aber auch über
ein Sensibilitätsdefizit. Kombinierte motorische und sensiblen
Störungen deuten mit der größten Wahrscheinlichkeit (am ehesten),
auf die Schädigung eines peripheren gemischten Nerven hin.
Viele große Nerven an den Extremitäten sind gemischte Nerven. D.h.
sie bestehen aus motorischen und sensiblen Nervenfasern.
Wenn Sie geantwortet haben, die genannten Schädigungen deuten auf
eine Störung im Nervensystem oder auf eine Störung des zentralen
Nervensystems hin, so ist diese Antwort
nicht prinzipiell falsch.
Bei einer sensiblen und motorischen Störung muss auch eine
Schädigung im zentralen Nervensystem erwogen werden. Allerdings ist
eine solche Störung im zentralen Nervensystem wesentlich seltener
als die Schädigung eines peripheren Nerven.
Der Patient berichtete über ein Taubheitsgefühl am Ringfinger und Kleinfinger der rechten Hand. Die Ausbreitung der sensiblen Störung deutet auf welchen peripheren Armnerven hin?
Auf eine Schädigung des Nervus ulnaris. (Ellennerven).
Begründen Sie, warum eine Senisbilitäsminderung am Ringfinger und Kleinfinger auf eine Schädigung am Nervus ulnaris hindeutet!
Die Sensibilität auf der Greifseite der
Hand wird im wesentlichen von zwei Nerven vermittelt. Der Nervus
medianus versorgt sensibel den Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger und
den speichenseitigen Ringfinger.
Der Nervus ulnaris (Ellennerv) versorgt sensibel den ulnaren
(ellenseitigen) Ringfinger sowie den Kleinfinger. Wenn man diese
Verteilung der Sensibilität an der Hand kennt, wird die Frage
einfach.
Eine Sensibilitätsstörung am Ringfinger und Kleinfinger – wie in der
Abbildung gezeigt – deutet auf eine Schädigung des Nervus ulnaris
hin.
Wie kann bei einer unterstellten Schädigung im Nervus ulnaris, die von dem Patienten berichtete Schwäche und Ungeschicklichkeit an der rechten Hand erklärt werden?
Der Nervus ulnaris ist ein gemischter peripheren Nerv. Die sensiblen Fasern des Nervus ulnaris versorgen die ulnare Seite des Ringfingers und den Kleinfinger mit Sensibilität.
Im Nervus ulnaris verlaufen aber auch viele
motorische Nervenfasern. Die motorische Nervenfasern steuern die
Muskulatur des Kleinfingerballens und auch den Anspreizmuskel des
Daumens.
Sind die motorischen Fasern im Nervus ulnaris geschädigt, so besteht
vor allen Dingen eine funktionell störende Anspreizschwäche des
Daumens, die viele Patienten als eine "Schwäche in der Hand"
berichten.
Sie haben nun den Verdacht auf eine
Schädigung des Nervus ulnaris.
Welche Frage sollten Sie an dieser Stelle unbedingt an den Patienten
richten?
Die Frage an den Patienten muss lauten: haben Sie einmal an der Hand oder am Arm eine Verletzung erlitten?
Warum ist die Frage nach einer Verletzung an dieser Stelle der Diagnosefindung so wichtig?
Schädigungen eines peripheren Nerven
entstehen häufig aus zwei verschiedenen Gründen:
Schädigungen des Nerven durch chronischen Druck,
Schädigungen des Nerven durch
Verletzungen.
(Weitere seltenere Möglichkeiten der
Nervenschädigungen sollen an dieser Stelle einmal außer Betracht
gelassen werden).
Der Patient berichtet Ihnen auf die
Frage nach einer vorausgegangenen Verletzung, über eine lange
zurückliegende Wunde am Unterarm, die damals im Krankenhaus vernäht
worden sei.
Die gezeigte Narbe in der Abbildung zeigt noch die Lage der
damaligen Wunde.
Könnte von der Lage her, die damalige Verletzung zu einer Schädigung
des Nervus ulnaris geführt haben?
Ja! Der Nervus ulnaris verläuft, vom
inneren Ellenbogen kommend, auf der Beugeseite des ellenseitigen
Unterarms zur ellenseitigen Hand. Die in obiger Abbildung gezeigte
alte Narbe verläuft genau quer zur Verlaufsstrecke des Nervus
ulnaris.
Bei einer tieferen Verletzung kann es hierbei durchaus zu einer
vollständigen oder teilweisen Durchtrennung des Nervus ulnaris
gekommen sein.
Die Abbildung soll dies noch einmal verdeutlichen: die roten Pfeile
in der Abbildung markieren den Verlauf des Nervus ulnaris
(Ellennerven) an Oberarm und innerem Ellenbogen. Der blaue Pfeil am
ulnaren Unterarm markiert die Stelle der früher erlittenen
Verletzung.
Die oben markierten Narbe im
Verlauf des Nervus ulnaris erhärtet den Verdacht auf eine Schädigung
des Nervus ulnaris weiter.
Wie können Sie mit einfachen Möglichkeiten prüfen, ob unter der
abgebildeten Narbe am ellenseitigem Unterarm tatsächlich ein
verletzter Nerv verläuft?
Im Bereich der Narbe muss das Hoffmann-Tinel Zeichen geprüft werden.
Was versteht man unter dem Hoffmann-Tinel Zeichen? (Manchmal auch nur Tinel Zeichen genannt).
Beim Hoffmann-Tinel Zeichen prüft man durch Beklopfen der Narbe, ob an der Stelle der alten Verletzung ein elektrisierender Schmerz entsteht. (Neuromschmerz).
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Erklärung:
wird ein Nervus vollständig oder teilweise durchtrennt, so kommt es peripher der Durchtrennungsstelle zur Degeneration der Nervenfasern. Die zentral der Verletzungsstelle befindlichen Nervenbahnen, haben jedoch noch Verbindung mit dem Zellleib der Nervenzellen. -
Diese Nervenfasern versuchen über die Verletzungsstelle hinaus zu wachsen und wieder eine Verbindung mit der peripheren Nervenbahn herzustellen. Dies gelingt jedoch oft nicht oder nur unzureichend.
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An der Verletzungsstelle bildet sich ein Knäuel aussprossender Nervenfasern. Diese knotenartige Verdickung im Nerv nennt man Neurom.
Das Beklopfen eines Neuroms mit dem Finger oder dem Reflexhammer, empfindet der Patient als einen sehr unangenehmen elektrisierenden Schmerz. (Neuromschmerz). Wird unter einer Narbe beim Beklopfen ein elektrisierender Schmerz nachgewiesen, so spricht man von einem positiven Hoffmann-Tinel Zeichen.
Der oben gezeigte Patient hat ein solches positives Hoffmann Tinel Zeichen. Das positive Hoffmann Tinel Zeichen bekräftigt weiter die Verdachtsdiagnose einer Schädigung des Nervus ulnaris.
Welches diagnostische Zeichen sollten Sie nun noch prüfen, um den Verdacht auf eine motorische Schädigung des Nervus ulnaris weiter zu bestätigen?
Das Froment-Zeichen.
Was versteht man unter dem Froment-Zeichen?
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Das Froment -Zeichen prüft die Funktionstüchtigkeit des Anspreizmuskels zwischen Daumen und Zeigefinger.
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Um das Froment-Zeichen zu prüfen lässt man den Patienten – wie in der Abbildung gezeigt – einen sehr schmalen Gegenstand wie ein Blatt Papier oder einen Winkelmesser – zwischen Daumen und der Mittelhand einklemmen.
Mit der gesunden Hand ist diese Funktion ohne Probleme möglich. Bei einer Schädigung des Nervus ulnaris und der damit verbundenen Lähmung des Anspreizmuskels für den Daumen, benutzt der Patient zum Einklemmen des Gegenstandes nicht den Anspreizmuskel zwischen Daumen und Zeigefinger sondern beugt das Endgelenk des Daumens. (Abb. oben).
Die Beugung des Endgelenkes am Daumen geschieht mittels der tiefen Beugesehne des Daumens. Diese Sehne wird vom Nervus medianus und nicht vom Nervus ulnaris versorgt.
Das Froment Zeichen ist also positiv, wenn bei Einklemmung eines schmalen Gegenstandes zwischen Daumen und Zeigefinger, das Endgelenk des Daumens gebeugt wird.
Der oben beschriebene Patient hat ein positives Froment Zeichen.
Welche Veränderung erwarten Sie bei einer Schädigung des Nervus ulnaris bei Betrachtung der Hand von der Streckseite.
Bei einer vollständigen Lähmung des Nervus
ulnaris sollten Sie das typische Bild der Nervus ulnaris Lähmung
sehen.
Das typische Bild der (vollständigen) Lähmung des Nervus ulnaris ist
die Krallenhand, die ich in obiger Abb. an der rechten Hand bei
einem anderen Patienten zeige.
Jedoch ist nicht jede
Ulnarisschädigung vollständig und daher besteht bei Teillähmungen
des Nervus ulnaris keine Krallenhand.
Bei einem positiven Froment-Zeichen sollten Sie jedoch zwischen
Daumen und Zeigefinger welches Veränderung sehen?
Bei einer Lähmung des Anspreizmuskels des
Daumens (positives Froment Zeichen) sollten Sie eine Atrophie
(Verschmächtigung) der Muskulatur zwischen Daumen und Zeigefinger
bei Betrachtung der Streckseite der Hand sehen.
Dieses Symptom lässt sich besonders gut dann erkennen, wenn man
seitenvergleichend beide Hände von der Streckseite – wie in obiger
Abbildung gezeigt – betrachtet.
In obiger Abbildung habe ich aus
didaktischen Gründen einen anderen Patienten gezeigt, bei dem die
Atrophie des Anspreizmuskels des Daumens bei Betrachtung besonders
gut zu erkennen ist.
Der von uns untersuchte Patient zeigt zwar keine Krallenhand, bei der Aufforderung die Finger und den Daumen anzuspreizen kommt es jedoch zu typischen motorischen Ausfällen einer Ulnarisschädigung.
Welches in obiger Abbildung gezeigte Symptom spricht noch für eine Schädigung des Nervus ulnaris?
Der gezeigte Patient vermag den Kleinfinger
an der geschädigten Hand nicht normal anzuspreizen. Diese
Anspreizschwäche des Kleinfingers ist für eine motorische Schädigung
am Nervus ulnaris ebenso typisch wie die Anspreizschwäche am Daumen.
In obiger Abb. können Sie auch gut erkennen, wie der Patient bei der
Aufforderung die Finger und den Daumen anzuspeizen, den Daumen im
Endgelenk beugt. Das Froment-Zeichen tritt manchmal auch bereits
beim einfachen Anspreizen des Daumens auf.
Wir haben in dieser Lektion zur Diagnosestellung, mit einfachen klinischen Untersuchungsmethoden die Diagnose einer (nicht ganz vollständigen) Schädigung des Nervus ulnaris erarbeitet.
Noch einmal: lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn am Anfang die hier erarbeitete Diagnosestellung, einer unvollständigen Schädigung des Nervus ulnaris, nur holprig möglich war.
Wenn Sie nach einigen Tagen diese Seite noch einmal durcharbeiten, wird es Ihnen bereits viel leichter fallen.
Auf der folgenden Seite werden wir ein weiteres Problem, dass unser Patient bei der alten Verletzung erlitten hat, besprechen.
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